Duisburg, 10.04.2025 HKM muss bleiben

Jetzt müssen wir mit allem rechnen. Sogar mit einer Schließung der HKM. Thyssenkrupp hat die Verträge gekündigt, die Hütte steht zur Disposition. Das lassen wir mit uns nicht so einfach machen. Wir kämpfen weiter für eine Zukunft der HKM. Und wir sorgen vor.

10. April 2025 10. April 2025


Wo wir jetzt stehen

WIR VERTRAUEN NUR AUF UNS SELBST

Thyssenkrupp Steel lässt uns fallen. Damit ist die Existenz der Hütte bedroht. Deshalb hat die IG Metall bei HKM beschlossen: Wir fordern den Arbeitgeber zu Verhandlungen über einen Sozialtarifvertrag auf. Wir wollen Sicherheit für den Fall, dass es zu Entlassungen kommt. Wir verlassen uns auf niemanden – nicht auf die Anteilseigner, nicht auf einen Investor, nicht auf ein Wunder. Wir können uns so viel Sicherheit wie möglich erkämpfen.

Der Beschluss fiel einstimmig: Die betriebliche Tarifkommission bei der HKM fordert den Arbeitgeber auf, in Verhandlungen über einen Sozialtarifvertrag zu treten. Er würde die Bedingungen regeln, falls die Hütte geschlossen wird. 
Damit geht die IG Metall nach der schlimmen Nachricht in die Offensive. „Wir müssen uns auf das Schlimmste vorbereiten“, sagt Karsten Kaus, Geschäftsführer der IG Metall Duisburg-Dinslaken. „Selbst wenn der Betrieb weitergeführt werden kann, müssen wir über kurz oder lang wohl mit betriebsbedingten Kündigungen rechnen.“ Für den Fall sollen die Beschäftigten so gut wie möglich sozial abgesichert werden.
Wie geht es jetzt weiter mit der HKM? Drei Szenarien sind denkbar: Verkauf, Teilfortführung, Schließung. Auf alle drei Möglichkeiten bereitet sich die IG Metall vor. 
Mit der Forderung nach Verhandlungen setzt die IG Metall auch die Anteilseigner unter Druck. „Eine Teilfortführung ist durchaus möglich“, sagt Metaller Kaus. „Dazu muss sich insbesondere die Salzgitter AG bewegen.“ Sollte die Hütte am Ende tatsächlich schließen, sagt Kaus, „dann wird es teuer.“

Betriebsrat bietet Sprechstunden an

Die Belegschaft ist aufgewühlt. Hunderte nahmen am Freitag vergangener Woche an einer Protestkundgebung vor der Zentrale des Hauptanteilseigners Thyssenkrupp Steel in Duisburg teil, um gegen die Kündigung der Lieferverträge zu protestieren. Schlagworte wie „Schweinerei“ und „Verarsche“ machten die Runde.
„Genau so wird es jetzt auch weitergehen“, sagt Philipp Dengel, IG Metall-Vertrauenskörperleiter, „nämlich mit Protesten und Kampf. Wir werden uns das nicht gefallen lassen und für eine tarifvertragliche Absicherung unserer Zukunft kämpfen.“
In der Belegschaft gibt es viele Fragen. Das zeigte sich am Donnerstag, als sich spontan viele Kolleginnen und Kollegen beim Betriebsrat nach den aktuellen Entwicklungen erkundigten. Betriebsräte und Vertrauensleute informierten über die Forderung nach einem Sozialtarifvertrag. 
Der Betriebsrat wird in den kommenden Wochen Sprechstunden für die Beschäftigten anbieten, erklärt Betriebsratsvorsitzender Marco Gasse. „Die Kolleginnen und Kollegen haben ein Recht, den Betriebsrat aufzusuchen und Fragen zu stellen“, sagt Gasse. Dieses Recht gelte auch während der Arbeitszeit. „Wenn darunter die Produktion leiden sollte, dann ist das halt so.“ 


 

Das sind die Optionen

DIE HÜTTE WIRD VERKAUFT

Wenn doch noch ein Investor einsteigt, wäre das die beste Option. Ein Interessent ist abgesprungen, der Wagniskapitalgeber CE Capital. Wir haben das Unternehmen und die Anteilseigner aufgefordert, einen Verkauf weiterzuverfolgen. Denn die Hütte ist lebensfähig. Wir haben die richtigen Produkte und die richtige Belegschaft. Falls sich ein Investor findet, werden wir dafür sorgen, dass es bei einem Verkauf fair zugeht – und der neue Eigentümer zum Beispiel unsere Tarifverträge respektiert.

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DIE HÜTTE WIRD WEITERGEFÜHRT

Nur weil Thyssenkrupp aus den Lieferungen aussteigt, heißt das noch nicht, dass das Unternehmen nicht weitergeführt werden kann, zumindest teilweise. Hier wären die Anteilseigner gefragt, insbesondere die Salzgitter AG. Sie bekommt Lieferungen von HKM, auf die sie auch künftig nicht verzichten möchte. Die Bedingungen hierfür würden wir analog zu einem Gesamtverkauf der Hüttenwerke Krupp Mannesmann in einem Zukunfts- und Transformationsvertrag regeln.
 

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DIE HÜTTE WIRD GESCHLOSSEN

Dies wäre das schlimmste der drei Szenarien. Und es ist leider nicht mehr ausgeschlossen. Mit der Kündigung der Lieferverträge hat der Hauptgesellschafter der HKM, die Thyssenkrupp Steel Europe AG, Fakten geschaffen: Sie wollen uns loswerden. Schon ab 2028 wird Thyssenkrupp die Mengen, die es jetzt für sein Werk in Hohenlimburg von uns erhält, selbst herstellen. Dann fehlt uns in Duisburg die Menge, um die Hütte wirtschaftlich zu betreiben. Für diesen Fall müssen wir vorsorgen.
 

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Was wir regeln wollen

SOZIAL­TARIFVERTRAG – DAS SOLL DRINSTEHEN

Falls es zu Massenentlassungen oder sogar zu einer Schließung der HKM kommt, müssen die Betroffenen so gut wie möglich abgesichert werden. Deshalb haben wir den Arbeitgeber aufgefordert, mit uns über einen Sozialtarifvertrag zu verhandeln. Das steht drin.

ABFINDUNG

Wer seinen Arbeitsplatz verliert, soll eine Abfindung erhalten, die sich wie folgt berechnet: pro angefangenem Beschäftigungsjahr das Jahresentgelt (inklusive aller Zulagen, Einmalzahlungen, Zuschläge) geteilt durch zwölf multipliziert mit dem Faktor 3,0. 
Der Faktor von 3,0 erhöht sich um weitere 0,5 für 
• jedes steuermindernd anerkannte Kind
• jeden pflegebedürftigen Angehörigen ersten Grades mit min

MITGLIEDERVORTEIL

Für Mitglieder der IG Metall soll sich der Faktor noch einmal um weitere 0,5 erhöhen, jedoch mindestens um 60.000 Euro.

HÄRTEFÄLLE

Für Schwerbehinderte und Gleichgestellte (ab 30 Prozent) soll es noch einmal 20.000 Euro Abfindung obendrauf geben.

ARBEITSMARKTZULAGE

Jüngere Beschäftigte der Geburtsjahrgänge 1969 und jünger sollen zusätzlich zur Abfindung pro angefangenem Beschäftigungsjahr eine Arbeitsmarktzulage in folgender Höhe erhalten:
• Jahrgänge 1969 bis 1973        1100 Euro 
• Jahrgänge 1974 bis 1978         800 Euro 
• Jahrgänge 1979 bis 1984        500 Euro

ALTERSTEILZEIT

Beschäftigte der Geburtsjahrgänge 1968 und älter sollen in Altersteilzeit gehen können und erhalten bis zum vollendeten 65. Lebensjahr 90 Prozent ihres bisherigen Nettoentgelts. Außerdem gleicht der Arbeitgeber Rentenabschläge aus.

TRANSFERGESELLSCHAFT

Beschäftigte sollen freiwillig in eine Transfergesellschaft wechseln können, für eine Mindestlaufzeit von drei Jahren. Sie erhalten mindestens 90 Prozent ihres Nettoentgelts. Ihnen wird eine angemessene Qualifizierung angeboten.

MOTIVATIONSPRÄMIE

Beschäftigte sollen bis zum Produktionsende beziehungsweise bis zu ihrem individuellen Ausscheiden aus dem Unternehmen eine Motivationsprämie von 1000 Euro pro Monat erhalten.

ALTERSVORSORGE UND AUSBILDUNG

Die Regelungen zur betrieblichen Altersvorsorge werden in eine tarifvertragliche Regelung überführt, die Pensionsverpflichtungen gesichert. Die Ausbildung wird bis zum Ausbildungsende gesichert.


WARUM WIR DAS TUN

„Das wird der teuerste Sozialtarifvertrag im Stahl“

Stellungnahme von Karsten Kaus, erster Bevollmächtigter der IG Metall Duisburg-Dinslaken

Karsten, die betriebliche Tarifkommission der IG Metall hat den Vorstand aufgefordert, in Verhandlungen über einen Sozialtarifvertrag zu treten. Worum genau geht es?

Nach der Kündigung des Liefervertrags durch Thyssenkrupp müssen wir uns auf das Schlimmste vorbereiten – nämlich auf eine Schließung. Selbst wenn der Betrieb weitergeführt werden kann, müssen wir über kurz oder lang wohl mit betriebsbedingten Kündigungen rechnen. Wir werden dafür sorgen, dass die Beschäftigten für diesen Fall so gut wie möglich abgesichert werden. Wir haben das Unternehmen deshalb aufgefordert, mit uns über einen Sozialtarifvertrag zu verhandeln.

Sozialtarifverträge kommen doch zum Einsatz, wenn eine Bude schließt, richtig?

Ja, damit werden Massenentlassungen sozial abgefedert. Ein Sozialtarifvertrag regelt dann, unter welchen Bedingungen diese Entlassungen stattfinden, zum Beispiel die Höhe der Abfindungen.

Ist es dafür nicht ein bisschen früh?

Nein, jetzt ist genau das richtige Zeitfenster, um einen solchen Tarifvertrag einzufordern. Selbst wenn der Liefervertrag mit Thyssenkrupp noch sieben Jahre läuft, ist jetzt schon klar, dass Thyssenkrupp die Menge, die es von der HKM abnimmt, spätestens 2028 rausnimmt und selbst produziert. Ab dann besteht für die HKM jederzeit die Gefahr, dass die Anteilseigner die Hütte dramatisch verkleinern. Dann werden die auch nicht mehr die volle Mannschaft halten wollen.

Welches Druckmittel hat die IG Metall?

Rechtlich ist die Lage klar: Die Kündigung des Liefervertrags bedeutet, dass die HKM vor einer sogenannten Betriebsänderung steht. Für diesen Fall haben wir das Instrument der Sozialtarifverträge und können auch in einen Arbeitskampf treten.

Könnte das Streik bedeuten?

Ja. Als letztes Mittel können wir sogar streiken. Deshalb ist es ja so wichtig, dass wir jetzt aktiv werden und Verhandlungen zu einem Tarifvertrag fordern. Denn nur dann werden wir arbeitskampffrei und können über Warnstreiks oder Streiks entscheiden. Wir müssen jetzt kämpfen.

Was will die IG Metall in den Verhandlungen erreichen?

Wir haben in der betrieblichen Tarifkommission intensiv diskutiert und einen Katalog von Forderungen aufgestellt. Eines ist jedenfalls klar: Falls die Hütte wirklich schließen muss, dann wird das der teuerste Sozialtarifvertrag, den die deutsche Stahlindustrie je gesehen hat.


 

Philipp Dengel bei der HKM Kundgebung am 04.04.2025 Philipp Dengel bei der HKM Kundgebung am 04.04.2025

 

 

 

 

„Jetzt ist Kampf angesagt. Es betrifft uns alle, jeden Einzelnen. Das muss jetzt allen klar sein. Wir können nicht warten und hoffen. Wir setzen auf die eigene Stärke. Wir brauchen eine geschlossene Belegschaft, damit wir dem Arbeitgeber etwas entgegensetzen können.“

– Philipp Dengel, Vertrauenskörperleiter


INTERVIEW

„WIR KÄMPFEN JETZT“ 

Betriebsratsvorsitzender Marco Gasse über die skandalöse Entscheidung von TKSE, den Liefervertrag zu kündigen, die Stimmung im Betrieb, den Sinn eines Sozialtarifvertrags und die nächsten Schritte von Betriebsrat, IG Metall und Belegschaft.

Marco, wie wichtig ist der Liefervertrag mit TKSE für Euch?

Überlebenswichtig. Wir liefern jährlich mehr als zwei Millionen Tonnen Stahl an TKSE und produzieren selbst in der gleichen Zeit gut vier Millionen Tonnen Rohstahl. Der Vertrag macht also rund 60 Prozent des Liefervolumens aus. Das macht die Dimension deutlich. Die Entscheidung von TSKE, den Vertrag zu kündigen, ist ein Skandal.

Wie reagieren die Kolleginnen und Kollegen?

Viele sind schockiert und zurecht auf 180. Die Existenzangst steigt weiter. Viele können gar nicht verstehen, was hier eigentlich passiert: Berater haben uns schon vor langer Zeit durch ein Gutachten bestätigt: Wir können am Markt bestehen. Eine Schließung wäre also Schwachsinn. Dennoch hat TKSE diese Entscheidung getroffen. Eines haben die Verantwortlichen aber nicht bedacht: Eine Schließung wird teuer, sehr teuer. Die Schließungskosten würden alle Gesellschafter treffen. Damit stünden auch dort Arbeitsplätze und die Transformation auf dem Spiel. Das ergibt keinen Sinn. Für die Region wäre eine Schließung der Hütte eine Katastrophe. Ich sehe hier auch die Politik in der Pflicht. Die Anteilseigner verfolgen ihre eigenen Interessen, aber wer vertritt die Interessen der Region? Milliarden an Fördergeldern sind geflossen. Wo bleibt die soziale Verantwortung?

Wäre ein Verkauf oder eine Fortführung noch eine Option?

Ja. Beides ist möglich. Und an beiden Optionen arbeiten wir auch intensiv weiter. Wenn sich ein Investor oder Käufer findet, okay. Dann werden wir den Verkauf fair gestalten und entsprechende Vereinbarungen treffen. Das Gleiche gilt selbstverständlich, sollte sich Salzgitter für eine Fortführung unserer Hütte entscheiden.

Die Kündigung des Liefervertrags kommt aus den eigenen Konzernreihen. Siehst Du hierin den Versuch des Managements, die Belegschaften verschiedener Standorte gegeneinander auszuspielen?

Absolut. Für die sind wir nur eine Manövriermasse. Zumal TKSE als größter Anteilseigner auch mit Salzgitter, dem anderen großen Anteilseigner, alle Optionen für HKM durchspielen müsste. Aber bislang hören wir von beiden Seiten nur, dass sie nicht miteinander sprechen. Stattdessen sitzen wir jetzt sozusagen in Geiselhaft. Aber wir lassen uns nicht entzweien. Unsere Solidarität ist ungebrochen.

Was muss jetzt passieren?

Wir kämpfen jetzt für einen Sozialtarifvertrag, damit die Beschäftigten so viel Sicherheit wie nur irgend möglich erhalten. Für den Fall, dass die Salzgitter AG sich für eine Fortführung der Hütte entscheiden sollte, stehen wir wie bei einem Verkauf der HKM auch für Gespräche über eine Zukunfts- und Transformationsvereinbarung zur Verfügung. Jetzt ist auch die Belegschaft gefordert. Wir werden zeigen, dass wir zusammenstehen. Bei der Protestveranstaltung vor der Zentrale von Thyssenkrupp Steel Europe haben wir das schon eindrucksvoll bewiesen. Langsam wird allen hier bewusst, wie ernst die Lage ist. Eines ist nämlich sicher: Wir können nicht warten, wir müssen jetzt handeln.

Was sind die nächsten Schritte?

Schon nach Ostern werden wir als Betriebsrat Sprechstunden anbieten. Die Kolleginnen und Kollegen haben ein Recht, den Betriebsrat aufzusuchen und Fragen zu stellen. Das gilt übrigens auch während der Arbeitszeit. So steht es im Betriebsverfassungsgesetz. Und Fragen gibt es momentan viele, sehr viele sogar. Wenn darunter die Produktion leiden sollte, dann ist das halt so.