Wie wir wurden, was wir sind Alles andere als neutral

Im Kaiserreich waren Streiks offiziell illegal oder zumindest nur stark eingeschränkt möglich, gleichzeitig waren sie aber die einzige Möglichkeit für die Beschäftigten, für ihre Rechte einzutreten, weshalb sie in der Praxis dennoch durchgeführt wurden.

25. März 2025 25. März 2025 Diese Unterseite wurde mit Inhalten von Chaja Boebel erstellt. Wir danken ihr für ihre wertvollen Beiträge.


Der Kampf um bessere Arbeitsbedingungen

Seit Beginn der Industrialisierung kämpfen Beschäftigte für höhere Löhne und kürzere Arbeitszeiten. 1844 widersetzten sich die Weberinnen und Weber in Schlesien den menschenunwürdigen Arbeitsbedingungen, im Ruhrgebiet streikten Bergarbeiter seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts immer wieder für bessere Bezahlung und kürzere Arbeitszeiten (anfangs waren sie 13 Stunden unter Tage), in Berlin und an vielen anderen Orten gab es große Streiks in der Metallindustrie. Im Kaiserreich waren Streiks offiziell illegal oder zumindest nur stark eingeschränkt möglich, gleichzeitig waren sie aber die einzige Möglichkeit für die Beschäftigten, für ihre Rechte einzutreten, weshalb sie in der Praxis dennoch durchgeführt wurden. Das hatte oft harte Konsequenzen zur Folge. Die Arbeitgeber*innen riefen nach dem Staat, der Polizei und dem Militär. Diese Institutionen, alles andere als neutral, lösten Versammlungen auf und schossen in die Menge. Sie handelten im Interesse des Arbeitgebers. 

Endlich(e) Demokratie?

Die Revolution 1918 führte in Deutschland zur Einführung der Demokratie und brachte zahlreiche rechtliche Verbesserungen mit sich, darunter das Frauenwahlrecht. Auch die Gewerkschaften profitierten von dieser politischen Wende: Sie erhielten den lange geforderten 8-Stunden-Tag, die Tarifautonomie und wurden als Vertretung der abhängig Beschäftigten anerkannt.

Im März 1920 unternahmen jedoch Teile der Reichswehr unter der Führung von Wolfgang Kapp einen Putschversuch, um eine Rückkehr zur reaktionären Monarchie zu erzwingen. Ziel war es, die demokratischen Errungenschaften der jungen Republik rückgängig zu machen. In Reaktion auf diesen Putsch riefen die Gewerkschaften gemeinsam mit der SPD und der USPD zu einem Generalstreik auf. Am 13. März 1920 legten Millionen Arbeiterinnen und Arbeiter ihre Arbeit nieder, um die junge Republik und die damit verbundenen Fortschritte zu verteidigen. 

Der Streik war erfolgreich: Nach nur vier Tagen gaben Kapp und seine Anhänger auf. Wiederum waren es die Gewerkschaften, die durch Streiks die Demokratie schützten und retteten.

Unsere Mitbestimmung

Nach dem 2. Weltkrieg wollten die Gewerkschaften eine Vergesellschaftung der Schwerindustrie (Kohle und Stahl) durchsetzen. Vor Allem die Gewerkschaften IG Metall und IG Bergbau setzen sich aktiv für echt Mitbestimmung in den Zechen und Hüttenwerken ein und begleiteten ihre Forderungen bereits vor der Gründung der Bundesrepublik mit Massenstreiks. Obwohl die Gewerkschaften mit den Arbeitgeber*innen um einen Kompromiss rangen, lag die Verantwortung für das entsprechende Gesetz bei der Politik. Das Gesetz wurde schließlich verabschiedet, wobei sich die Arbeitgeber freiwillig auf keinerlei Mitbestimmungsregelungen eingelassen hätten. Es war dem Druck der Millionen Gewerkschaftsmitglieder auf die CDU-Regierung und dem Verhandlungsgeschick von Otto Brenner (IG Metall Vorsitzender), Heinrich Imig (Vorsitzender IG Bergbau) und Hans Böckler (DGB-Vorsitzender) zu verdanken, dass es 1951 zu einer gesetzlichen Regelung kam.

Die Lohnfortzahlung

Bis Mitte der 50er Jahre erhielten nur Angestellte bei Krankheit sechs Wochen vollen Lohn, Arbeiterinnen und Arbeiter nur eine geringe Unterstützung aus der Krankenkasse, nachdem sie in den ersten drei Tagen überhaupt kein Geld erhalten. Vor allem längere Krankheiten konnten Arbeiterfamilien hart treffen, aber auch die drei Karenztage stellten eine große Hürde dar, sich überhaupt krank zu melden. Viele gingen krank zur Arbeit, verschleppten Krankheiten, aus kleinen Infekten wurden schwere Krankheiten, die Lebenserwartung war deutlich niedriger.

Die IG Metall unter Otto Brenner begann 1956 einen Streik für die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall in Schleswig-Holstein, der letztlich 16 Wochen dauerte und wegen des anschlussfähigen Gerechtigkeitsthemas weit über die IG Metall hinaus gesellschaftliche Unterstützung fand. Gleichzeitig stand auch die Bundesregierung unter Druck, weil deutlich wurde, dass es sich nicht nur um ein betriebliches, sondern um ein gesellschaftspolitisches Thema handelte. Die IG Metall war hier klar parteiisch. 

1957, nach dem 16-wöchigen Streik, erfolgte dann die Regelung der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall durch einen Tarifvertrag.

1969 wurde das Lohnfortzahlungsgesetz eingeführt, das die Regierung Kohl jedoch 1996 zulasten der Beschäftigten änderte. Es sollten von nun an nur noch 80 Prozent des Lohns gezahlt werden. Die Arbeitgeberverbände klagten über hohe Lohnnebenkosten und forderten Entlastungen, argumentierten, die Reduzierung der Lohnnebenkosten würde Arbeitskosten senken und somit mehr Jobs schaffen.

Dieser staatliche Eingriff führte zu massiven, bundesweiten Protesten: In Bonn gingen unter anderem 350.000 Gewerkschaftsmitglieder auf die Straße. Der Druck zeigte Wirkung und die rot-grüne Bundesregierung änderte das Gesetz 1999 zu Beginn ihrer Amtszeit.

Im Januar 2025 hat Allianz-Chef Oliver Bäte eine Debatte über die Einführung eines Karenztages bei Krankmeldungen befeuert. Der Vorschlag zielt darauf ab, den hohen Krankenstand in Deutschland zu senken, indem Arbeitnehmer*innen am ersten Krankheitstag keinen Lohn erhalten. Diese Idee hat bereits für erhebliche Diskussionen gesorgt, da sie die bisherige Praxis der Lohnfortzahlung ab dem ersten Krankheitstag infrage stellt. Ein solcher Schritt könnte die finanzielle Sicherheit von Beschäftigten gefährden.