Wir stehen für Verantwortung Auftakt zur Tarifrunde Stahl 2025

In der nordwestdeutschen Stahlindustrie zeichnet sich eine äußerst schwierige Tarifrunde ab. Nahezu alle Betriebe stecken in der Krise. Dennoch dürfen die Beschäftigten nicht leer ausgehen.

27. Juni 2025 27. Juni 2025 IG Metall NRW


In der nordwestdeutschen Stahlindustrie zeichnet sich eine äußerst schwierige Tarifrunde ab. Nahezu alle Betriebe stecken in der Krise. Dennoch dürfen die Beschäftigten nicht leer ausgehen. Die IG Metall hat sich für die Runde drei Ziele gesetzt: Beschäftigung sichern, Fachkräfte sichern und Reallöhne sichern.

Knut Giesler, Bezirksleiter der IG Metall NRW und Verhandlungsführer, machte in der Sitzung der Tarifkommission am Mittwoch klar, wie schwierig die Situation derzeit ist. „Die Unternehmen schreiben rote oder tiefrote Zahlen.“ Außerdem stecken bedeutende Unternehmen der Branche in ernsten betrieblichen Umbrüchen: Bei Thyssenkrupp Steel etwa steht die IG Metall in zähen Verhandlungen um ein Zukunftspaket; die Belegschaft von HKM in Duisburg kämpft um eine Weiterführung der Hütte; das Management der Salzgitter AG ruft nach Sanierung. Die Weltlage ist unsicher, die Konjunktur schwach. 

Trotz der schlechten Nachrichten geht die IG Metall „aus einer Position der Stärke und der Verantwortung in die Tarifrunde“, betonte Knut Giesler. Einstimmig votierte die Tarifkommission für die Kündigung der geltenden Verträge – damit in den Verhandlungen im Herbst dann neue ausgehandelt werden können. Eine konkrete Forderung hat die Kommission noch nicht aufgestellt.

Grund: Derzeit ist noch gar nicht absehbar, wie sich die wirtschaftliche Lage entwickelt, ob zum Beispiel das Investitionspaket der Bundesregierung wirkt oder die Stahlkonjunktur sich aufhellt. „Wir fahren jetzt erst mal auf Sicht“, sagte Bezirksleiter Giesler. Die Tarifkommission wird die Forderung deshalb erst im September kurz vor der ersten Verhandlung mit den Arbeitgebern aufstellen. Noch ist unklar, ob die Tarifkommission sich dann für eine Forderung mit einer konkreten Prozentzahl entscheidet oder ohne bezifferte Forderung in die Verhandlungen startet. Über die Frage werden die Vertrauensleute der IG Metall im Sommer in den Betrieben mit den Mitgliedern diskutieren. Klar ist heute aber eines: „Eine Nullrunde wird es nicht geben“, sagte Giesler. Angesichts steigender Preise „muss Geld ins Portemonnaie, nur so sichert man Reallöhne“.

Überschattet wurde die Sitzung der Tarifkommission von einer Skandal-Nachricht: Der Stahlkonzern ArcelorMittal will nicht mehr in die grüne Transformation in Deutschland investieren. Begründung: Es lohne sich nicht. Deutschlandweit sind Stahlerinnen und Stahler empört. Sie fürchten, dass das Beispiel Schule macht. Die Tarifkommission verabschiedete eine Resolution und forderte die Bundesregierung auf, einen Stahlgipfel einzuberufen. Mit der Nachricht wurde klar: Die Stahlindustrie steht vor einem heißen Herbst – in der Tarifpolitik ebenso wie in der Industriepolitik.



INTERVIEW

„Null ist zu wenig“

Knut Giesler ist Bezirksleiter der IG Metall NRW und Verhandlungsführer in der Tarifrunde der nordwestdeutschen Stahlindustrie.


Zweite Verhandlungsrunde am 15.10.2024 in Münster (TBME 2024)

Knut, die Stahlindustrie steht vor einer schwierigen Tarifrunde. Was erwartet uns?

Tatsächlich steckt die Branche in einer äußerst schwierigen Lage, und das ist noch vorsichtig ausgedrückt. Sämtliche Unternehmen schreiben rote oder tiefrote Zahlen oder sind in einem betrieblichen Umbruch, weil sie die Transformation stemmen müssen. Das macht eine Tarifrunde nicht gerade einfacher. Wir stehen jetzt vor der Herausforderung, eine angemessene tarifpolitische Antwort auf die Situation zu finden. Wir dürfen einerseits die Unternehmen nicht überfordern. Wir dürfen aber andererseits die berechtigten Interessen der Beschäftigten nicht hinten runterfallen lassen, nur weil die Unternehmen laut rufen: Krise, Krise, Krise.

Die IG Metall hat noch keine Forderung aufgestellt. Warum nicht?

Unser Zeitplan sah ursprünglich vor, dass wir im Juni unsere Forderungsempfehlung beschließen. Wir haben das in der Tarifkommission sehr ausführlich diskutiert und sind zu einem einstimmigen Entschluss gekommen: Nein, eine klassische Forderung aufzustellen, das ergibt zum jetzigen Zeitpunkt noch keinen Sinn. Die Gesamtlage ist derzeit viel zu unklar, wir können überhaupt nicht absehen, wie sich die wirtschaftliche Lage der Branche weiterentwickelt. Deshalb haben wir die Aufstellung der Forderung auf September verschoben und werden die Sommerpause nutzen, die Situation genau zu beobachten und in den Betrieben über eine mögliche Forderung zu diskutieren. Es gibt durchaus einen Hoffnungsschimmer, dass die wirtschaftliche Situation sich bis dahin bessert und dass das Investitionspaket und andere Maßnahmen der neuen Bundesregierung erste Wirkung entfalten. Von niedrigeren Strompreisen zum Beispiel würde die Stahlindustrie schnell profitieren. Je nachdem, wie die Lage sich entwickelt, werden wir dann unsere Forderung aufstellen. Wir fahren jetzt erst mal auf Sicht.

Heißt das, die IG Metall würde sich mit einer Nullrunde zufriedengeben, wenn die Lage so schwierig bleibt?

Nein, auf gar keinen Fall. Das ist mit uns nicht zu machen. Wir müssen die Einkommen der Beschäftigten sichern. Deshalb muss es mehr Geld in die Portemonnaies geben, allein schon wegen der gestiegenen Preise. Wie viele Prozente mehr Entgelt das am Ende werden, das müssen wir dann sehen. Null ist definitiv zu wenig. Wir werden keinen Angriff auf die Reallöhne zulassen. Sollten die Arbeitgeber das versuchen, werden sie mit unserem erbitterten Widerstand rechnen müssen.

Knut, die Stahlindustrie steht vor einer schwierigen Tarifrunde. Was erwartet uns?

Tatsächlich steckt die Branche in einer äußerst schwierigen Lage, und das ist noch vorsichtig ausgedrückt. Sämtliche Unternehmen schreiben rote oder tiefrote Zahlen oder sind in einem betrieblichen Umbruch, weil sie die Transformation stemmen müssen. Das macht eine Tarifrunde nicht gerade einfacher. Wir stehen jetzt vor der Herausforderung, eine angemessene tarifpolitische Antwort auf die Situation zu finden. Wir dürfen einerseits die Unternehmen nicht überfordern. Wir dürfen aber andererseits die berechtigten Interessen der Beschäftigten nicht hinten runterfallen lassen, nur weil die Unternehmen laut rufen: Krise, Krise, Krise.

Welches Ziel verfolgt die IG Metall für diese Tarifrunde?

Wir wollen Beschäftigung sichern, wir wollen Fachkräfte sichern und, wie gesagt, wir wollen die Reallöhne sichern. Wir gehen aus einer Position der Stärke und der Verantwortung in diese Tarifrunde. Wir müssen etwas für die Beschäftigten herausholen und wir müssen etwas für die Auszubildenden tun. Sie sind die Zukunft der Betriebe, und hier stehen die Unternehmen der Stahlbranche im Kampf um knappe Fachkräfte auch in Konkurrenz zu anderen Branchen. Wir sind bereit, eine Tarifrunde der Verantwortung zu gestalten. Aber Verantwortung ist eben keine einseitige Angelegenheit, dazu müssen die Arbeitgeber dann auch mitmachen. Sollten sie unsinnige Gegenforderungen aufstellen, werden wir uns querstellen. Ohnehin ist es dringend Zeit, dass sich die Unternehmen der Stahlbranche ihrer Verantwortung bewusst werden, auch über diese Tarifrunde hinaus. Auch dieses Thema wird in den Verhandlungen sicherlich zur Sprache kommen.

Du spielst auf ArcelorMittal an?

Die Ankündigung von ArcelorMittal, keine Investitionen in die grüne Transformation mehr tätigen zu wollen, ist ein Skandal. Wenn das Schule macht, kann die Branche in Deutschland auf Dauer einpacken. Wir haben nicht so hart auf politischer Ebene um die Förderung der grünen Transformation gekämpft, damit die Unternehmen die bereitstehenden Fördermilliarden von Bund und Ländern jetzt frech ausschlagen. Das ist unverantwortlich. Auch bei Thyssenkrupp Steel sehen wir bedenkliches Managerverhalten. Wir verhandeln dort mit dem Vorstand über ein Zukunftspaket und haben konkrete Vorschläge gemacht, wie die Standorte und Beschäftigten eine Perspektive erhalten, aber das Management denkt nur ans Streichen.

Wie wird die IG Metall auf die Angriffe durch fragwürdige Unternehmensentscheidungen reagieren?

Stahl braucht Zukunft, dafür stehen wir als IG Metall. Wir erleben gerade eine große Welle der Solidarität unter den Beschäftigten in der Branche. Diese Solidarität ermutigt uns, sie ist unsere stärkste Waffe. Unsere Mitglieder im Stahl sind erschüttert über das unverantwortliche Handeln der genannten Unternehmen. Und niemand sollte unseren Willen unterschätzen, es in der Frage der Zukunftsfähigkeit der Branche auf den Konflikt ankommen zu lassen.

Informationen für unsere Mitglieder in der nordwestdeutschen Stahlindustrie

Auftakt zur Tarifrunde Stahl – Stahlnachrichten 26. Juni 2025